Eselin und Ochs
Text: Helene Huss-Trethan
9. Tewet 3761
"Nicht nur, dass wildfremde Leute in meinem Stall einziehen, sie bringen auch noch so ein Eselgetier mit! So was muss ich mir auf meine alten Tage gefallen lassen!", schmollt der alte Ochse vor sich hin.
Am Vormittag traf ein Mann mit seiner hochschwangeren, jungen Frau ein. Die Frau konnte aus Müdigkeit schon nicht mehr gehen und ritt auf einem Esel. Eben jener stellte sich als Brüskierung für den alten Ochsen heraus, der schon viele Jahre in diesem Stall untergebracht war und schon ebenso viele Jahre für seinen Bauern schwer schuften musste.
Nicht nur dass es ein Esel war, so ein minderwertiges, schwaches Tier, es war auch noch eine ESELIN! Ein aufdringliches Weib, das sich ungefragt über sein Futter hermachte und selbst noch während des Fressens vor sich hin laberte! Andauernd erzählte sie in Wortfetzen von einer lagen Reise, dass sie kaum was zum Fressen bekäme, dass sie sich ihre neue Herrschaft wohl anders vorgestellt hätte, dass sie im Wasserrad wohl noch einen angenehmeren Job gehabt hätte, dass ihr die wärmeren Temperaturen in Ägypten besser getan hätten, hier bekäme sie ja doch nur wieder Rheuma, und was, wenn sie hier wieder schwanger würde? In dieser Gegend kann man doch keine kleinen Esel-Kinder aufziehen! Und so etwas nennt sich "Gelobtes Land"! Die Hufe täten ihr hier weh, alles hier ist steinig und uneben! Gerade mal die Straßen der Römer sind etwas besser, aber auf denen rutsche sie wieder aus, hätte keinen Halt mit den Hufen auf den glatten Steinen. Außerdem wären auf den Straßen die Pferde mit den Karren meistens mehr als unhöflich zur Eselin. Nicht selten hätten sie ihr im Vorbeitraben in den Nacken gebissen oder sie gleich abgedrängt.
"Und dann auch noch die junge Frau tragen, nicht nur das Gepäck! Was für eine Zumutung! Allerdings, so von Frau zu Frau... "Sie hätte ja auch schon so einiges erlebt mit ihren Schwangerschaften und dann mit der Aufzucht der Kleinen. Man hätte es nicht leicht als alleinerziehende, schwer arbeitende Eselin!
Der alte Ochse schüttelt sich mit Grauen ob der Erinnerung an den Sprechdurchfall der unerwünschten Stallgenossin.
Endlich schläft sie und er kann jetzt auch einmal die Augen etwas zu machen. "Aber nur nicht zu lange. Wer weiß, was diese… na, ich weiß nicht, diese Aufdringlichkeit in Tierform noch so alles einfällt!"
10. Tewet 3761
Der alte Ochse wacht auf. Eigentlich ist es immer noch relativ dunkel, wenn er aufwacht. In seinem Alter braucht er nicht mehr so viel Schlaf. Aber heute ist es taghell. Dass er so lange geschlafen hätte? Nein. Lichtgestalten schwirren durch den Stall. Wesen, die er noch nie gesehen hat. Er schreckt auf, brüllt. Sofort kommt eine Lichtgestalt zu ihm, streichelt ihn sanft, beruhigt ihn. Er wird liebevoll mit Stroh abgerieben. Frisches Wasser ist auch schon da und duftendes Gras. "Na, das ist ja einmal ein Service!", grummelt der Alte versöhnlich vor sich hin. Die Eselin ist auch schon herausgeputzt, und, das wichtigste, sie schweigt! Erstaunt sieht er sich um. Die Lichtwesen richten der jungen Frau gerade einen bequemen Platz her. Sie legen das Stroh mit weichen, weißen Tüchern aus, fächeln ihr frische Luft zu, streichen ihr den Schweiß mit weichen, feuchten Tüchern von der Stirn. Die junge Frau liegt bereits in den Wehen. Aufgeregt geht der Gatte vor dem offenen Stall auf und ab. "Es ist ihr Erstes!" flüstert die Eselin. Der alte Ochse ist erstaunt, welch zarte Stimme die Eselin plötzlich hat. Nicht mehr das keifende, schrille Gezeter vom Vorabend.
"Beim Ersten dauert es immer länger!", kommentiert sie wissend. Die Eselin richtet es sich noch etwas bequemer ein. Verflogen ist der Stress der letzen Tage und selbst den alten Ochsen findet sie mittlerweile sympathisch.
Genießerisch knabbert sie an dem würzigen Gras, schließt die Augen und erinnert sich an ihr erstes Kind. Der junge Bauer bei dem sie damals war, ihre Mutter hatte schon bei seinem Vater gearbeitet, hatte sie ausgerechnet mit einem Pferde-Hengst zusammengebracht! Der war unglaublich groß und auch sonst… Ollala! Es war fast zu viel für die damals noch eher zarte Eselin. Aber in der Erinnerung, da ist das schon noch aufregend! Und eines Tages war ihr Fohlen dann da. Es war fast weiß. Der Bauer war begeistert von dem kleinen Maulesel. Damals gab er der Eselin auch noch freie Zeit nach der Geburt. Aber dann kamen schlechte Jahre. Die Nilüberschwemmungen blieben mehrmals hintereinander aus. Sie musste auch gleich nach den folgenden Geburten arbeiten und die Fohlen wurden ihr auch bald weggenommen um verkauft zu werden. Ja, das waren schlimme Zeiten. Dann musste der Bauer die Eselin sogar verkaufen. Sie wurde an ein Dorf verkauft, wo sie immer im Kreis gehen musste um das Wasserschöpfrad in Bewegung zu halten. Wenn eine Kollegin ausfiel, musste sie sogar zwei Schichten gehen. Oft genug schlief sie während des Gehens ein und wurde durch heftige Stockschläge wieder aufgeweckt. Ja, das waren schwere Zeiten!
Irgendwann landete sie dann beim Josef, einem Zimmermann, mit dem sie jetzt die lange Reise von Nazaret nach Bethlehem hinter sich gebracht hatte. Es war nicht schlecht bei ihm, aber die letzen Tage… aber man will ja nicht klagen. Jetzt ist alles gut. Zufrieden zupft sie an frischen Kräutern.
Die Eselin erschreckt! Die junge Frau hatte aufgeschrien. "Es wird doch nicht schon so weit sein?" Verdutzt dreht sich die Eselin um. Tatsächlich! Das kleine Köpfchen kommt schon raus! Eine Lichtgestalt hält es sanft, die Schultern kommen raus. Es ist ein Knabe!
Wundervolle Musik erschallt im Stall. Der Vater stürzt herein. Überglücklich nimmt er seinen frisch geputzten Erstgeborenen in den Arm. Überglücklich legt er den Kleinen in die Krippe, die einzige Bettstatt, die sich für ihn finden ließ.
Der alte Ochse grummelt: "So ein Theater! Was sich die Menschen so alles antun! Ich kann das gar nicht verstehen, was da dran sein soll an den Schreihälsen? Die Kühe machen auch immer so ein Theater darum. Bin ich froh, dass mir der Stress erspart geblieben ist. Arbeiten, hart arbeiten, das ist was für richtige Männer. Aber dieses Herumgetue da mit den Weibern? Total abartig und total unnötig!" Die Eselin holt tief Luft. Eine Lichtgestalt steckt ihr prompt eine Karotte ins Maul und küsst die erboste Eselin. Besänftigt kaut die Eselin, nicht ohne dem alten Ochsen einen sehr giftigen Blick zuzuwerfen.
"Weiber!", und dreht ihr den Hintern zu.
Die nächsten Tage im Tewet 3761
Ein Stern leuchtet hell und klar über dem Stall in Bethlehem. Der alte Ochse ist genervt von der Helligkeit. Die Eselin ist auch wieder gesprächiger geworden und mit ihrer engelsgleichen Stimme ist es auch wieder vorbei. Immer wieder brüllt er in ihre Richtung. Eine immer größer werdende Gemeine bildet sich vor dem armseligen Stall. Die einfachen Leute knien vor dem Neugeborenen. Der Ochse keppelt: "Deppen, blöde!" Die Eselin: "Tss…! Was kann man von so einem schon erwarten!" Sogar der Bürgermeister schaut vorbei, was denn da los sei. Er hatte einen Auftrag von "ganz oben". Herodes Antipas selbst gab ihm den Auftrag alles zu beobachten und genau zu berichten. Aber als er das Kind sah, vergaß er seinen Auftrag, sank in die Knie und dankte Gott, dass er das Kind sehen durfte.
Sowohl die Eselin, als auch der alte Ochse wundern sich sehr über die Vorgänge im und rund um den Stall. Die Eselin schwankt zwischen Begeisterungsstürmen und depressiven Verstimmungen. Der Ochse ist einfach nur sauer.
23. Tewet 3761
Großes Tohuwabohu vor dem Stall. Eine große Gruppe kommt an. Die Eselin schreit aufgeregt: "Das müssen A-Promis sein!" – "Trampel, blöder!", so der Ochse. Tatsächlich kommen drei sehr gut gekleidete Fremde an. Sie sehen anders aus, als die Menschen hier. Einer hat sogar eine dunklere Hautfarbe. Sie kommen mit Kamelen, Pferden, Eseln und großem Gefolge.
Die Eselin kann sich nicht mehr zurück halten. Flotten Hufes tänzelt sie raus aus dem Stall und drängt sich unter die neu angekommenen Eseln. Das große IAen geht los. Es wird geratscht was das Zeug hält. Schnell findet die Eselin auch den Chef-Esel heraus. Keck macht sie ihm Avancen. Der will aber nichts von ihr wissen. Er ist einfach nur müde, will sein Gepäck los werden, Futter und schlafen. "Warte nur, ich erledige das für dich!", flötet die Eselin. Lautstark schreit sie nach den Lichtgestalten. Entsetzt kommen die angeflogen. "Mein Personal!", flüstert sie dem Chef-Esel augenzwinkernd zu. Ihr Plan geht auf. Rasch versorgen die Lichtgestalten die Esel zuerst, noch vor den Kamelen und sogar noch vor den Promi-Fremden. Entzückt stupst der Chef-Esel die Eselin an. Erfreut kräuselt sich das Fell der so Liebkosten.
Der Esel-Treiber kommt: "Bringt den Alten in den Stall. Die anderen bleiben draußen." Die Sklaven erledigen prompt ihre Aufgaben. Der alte Ochse beäugt den Neuankömmling neben der grässlichen Eselin: "Na, endliche ist jemand da für echte Männergespräche!" Der Chef-Esel betrachten den Ochsen genauer: "Na, da kannst du aber nicht mitreden!", und wendet sich ab, der Eselin zu. Beleidigt brüllt der alte Ochse auf. Der Esel zuckt nur mit der Schulter und knabbert zärtlich am Ohr seiner unerwarteten Gefährten herum. Sie ist so eigenartig heiß! Diese schwelgt im siebenten Himmel. Schützend, nein, nicht die Eseln schützend, stellen sich die Lichtgestalten um die Beiden, tauchen sie in gleißendes Licht und singen dazu. In dieser Stimmung knien die neuen Promi-Fremden vor dem Kind und bringen ihm Geschenke. "Die spinnen, die Fremden! Aber es duftet gut und glitzert schön, was sie da mitgebracht haben.", kommentiert der alte Ochse deutlich leiser und sichtlich beeindruckt.
Lange sprechen die Fremden noch mit Josef am Lagerfeuer. Die Mutter und der Knabe schlafen friedlich lächelnd.
24. Tewet 3761
Nach einem ausgiebigen Frühstück bricht die große Karawane wieder auf. Das gleiche Tohuwabohu wie am Vortag. Zwei Sklaven kommen in den Stall. "Der Chef hat ausgemacht, dass wir den alten Esel hier lassen. Der soll sich erholen. Wir nehmen statt ihm die Eselin mit. Die ist rossig! Der traben die alten Eseln automatisch nach und wir ersparen uns Arbeit."
Die Eselin ist verwirrt, als sie von den beiden abgeholt wird. Sie ist auch ein wenig traurig, dass sie IHN verlassen muss. Wo doch die letzen Nacht… Verliebt rollt sie ihre Augen, seufzt noch einmal tief mit etwas Wehmut im Herzen. "Aber dafür darf ich jetzt im Gefolge der drei Promi-Fremden mitgehen!", plärrt sie dem alten Ochsen im vorbeigehen ins Ohr. "Nicht einmal ignorieren…", kommentiert er den Abgang der Nervensäge.
Schwebenden Schrittes folgt sie den beiden Sklaven.
Der Eseltreiber ruft den beiden Sklaven zu: "Packt ihr nur ordentlich was drauf! Sie ist schwere Arbeit gewöhnt!"
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