Herbstlaub
Text: Helene Huss-Trethan
"Naja, musst du dir halt doch einmal so ein Haarteil machen
lassen!"
"Nein, Mama. Meine Haare sind die letzten 20 Jahre schon so,
haben sich nicht verändert, sind nicht weniger geworden und wenn ich
damals keines gebraucht habe, brauche ich das heute auch nicht!"
"Ja, aber…"
"Kein aber. Schluss! Übrigens, warst du jetzt endlich bei
deinem Hörgerätefachmann und hast dir deine beiden neu einstellen
lassen? Am Telefon erkennst du mich nicht einmal mehr!"
"Du peckst immer auf mir herum! Ich muss in meinem Alter einfach
nicht mehr alles hören!"
"Von wem ich das wohl habe, Mama! Und jetzt zieh dich fertig an,
damit wir noch rechtzeitig auf die Bank kommen. Dann fahr ich wieder
nach Hause und du hast wieder deine heilige Ruhe von mir."
Magda ist klar, dass die Mutter ihre Haare schon lange nicht mehr so
genau sehen kann um die Situation realistisch einschätzen zu können.
Den grauen Star hat sie mittels Operation ja noch erfolgreich
bekämpft, aber der Grüne gibt ihr jetzt den Rest. Sie sieht kaum
noch, sie hört schon fast nichts mehr. Aber die Haare der Tochter
sind seit 20 Jahren ein Thema mit dem sie sie unter Garantie
erfolgreich auf die Palme bringen kann. Damals wurde Magdas Haar
kurze Zeit am Oberkopf ohne medizinisch erklärbaren Grund um ca. die
Hälfte weniger und wuchs nicht mehr nach.
Es ist ein Machtspiel der Mutter, das sie Zeit ihres langen Lebens
erfolgreich spielt. Und die Tochter schlägt mittlerweile zurück.
Unbarmherzig. Seit 52 Jahren ist die Mutter der Tochter eine
ausgezeichnete Lehrmeisterin zum Thema: Nahestehende Menschen
effizient fertig machen.
Magda hasst sich dafür. Am meisten dafür, dass sie die Provokation
annimmt und zurück schlägt. Denn, damit hat die Mutter gewonnen.
Magda hat verloren. Und die Mutter weiß das.
Am Zugfenster zieht der Wagram vorbei. Die Hügelkette mit ihrer
Weinkultur vor Wien begleitet Magda schon seit ihrer Kindheit. Es war
der mit freudiger Erwartung verbundene Weg: "Gleich sind wir bei
der Großmutter!" Damals war es der wunderschöne alte
Franz-Josefs-Bahnhof in Wien, von dem aus es los ging. Heute ist das
ein schreckliches Glasmonster in dem es gerade noch einen heute
nahezu bedeutungslosen Bahnhof gibt, finster und dreckig. Auf der
Rückfahrt trösteten sie die vielen brennenden Kerzen auf den
Friedhöfen. Sie war immer der Meinung, dass diese nur für sie
brannten, weil sie so traurig war.
Und jetzt? Eigentlich sollte es umgekehrt sein und die Heimfahrt nach
Wien Erleichterung bringen, weil wieder einmal alles überstanden
war. War auch oft so in den letzten Jahren. Nur, manchmal erwischt es
sie doch noch.
In der altmodischen Geldkassette der Mutter liegt immer noch ihr
abgeschnittener Haarzopf. Als Mädchen musste sie die Haare lang
tragen. Die Mutter hat immer wieder vergeblich versucht durch bürsten
das struppige, dünne und glanzlose Haar der Tochter seidenweich und
schön zu machen. Aber mehr als die Kleine schmerzhaft damit zu
misshandeln kam dabei nicht heraus. Der erste Schultag war für Magda
nicht nur die reine Wonne weil sie endlich täglich für ein paar
Stunden weg kam von der Mutter, sondern es wurden davor auch ihre
Haare abgeschnitten. "Damit die Buben sie nicht mit dem Zopf an
die Sessellehne anbinden können.", so die Begründung der
Mutter. Niemand hätte es je geschafft das tatsächlich zu tun. Dazu
war nicht nur der Zopf viel zu kurz und zu dünn, sondern Magda viel
zu schnell und wild um sich so etwas bieten zu lassen. "Wird
wohl eher so gewesen sein, dass sie sich nicht für ihr Versagen aus
mir ein liebes, braves Mädchen zu machen, nicht schon wegen meiner
Haare schämen musste.", seufzt Magda in sich hinein.
"Nächster Aufenthalt: Absdorf-Hippersdorf. Für die Weiterfahrt
nach Wien steigen sie bitte hier um. Der Anschlusszug fährt in 5
Minuten von Gleis 4 ab."
Magda folgt der Anweisung. Das Umsteigen hat ihre dunklen Gedanken
nur kurz unterbrochen. Eher haben sie dadurch neuen Schwung bekommen.
An einem schlechten Tagen wie heute mischen sich auch gleich die
nicht ganz so alten widerwärtigen Erlebnisse mit der Schwiegermutter
unter ihre Erinnerungen.
Gerade jetzt wieder kommt es ganz übel hoch: die erste und einzige
Einkaufstour mit ihr in der SCS.
Die beiden Frauen schlendern gut gelaunt in ein Wäschegeschäft
hinein. Magda ist auf der Jagd nach ihren Alltags-Lieblingsslips.
Seit sie sich selbst Unterwäsche kauft, ist es meistens praktische
aber zarte in sehr guter Qualität und immer mit Spitze dran.
Irgendwo in einem Kleiderschrank hat sie noch eine Unterhose der
Jugendzeit vergraben, eine in rosa zum Auskochen in Rippstrick mit
langem Beinansatz. In großen Teilen Österreichs wurden solche
Monsterhosen Pumpanella genannt. Nach der vorgesehen Verwendung
wurden sie dann auch gerne von Hausfrauen zu Lappen geschnitten und
zum Fensterputzen verwendet. Nun, so ein Prachtstück teilt einen
Plastiksack noch mit einer Menstruationshose aus den frühen 70-ern
mit Plastikeinsatz im Schritt und der Möglichkeit die damaligen
Binden, es war nur verdichtete Watte, ca. 2 Zentimeter stark, in ein
Baumwoll-Netz gepackt, mit Sicherheitsnadeln an der Hose
festzumachen. Es hatte auch noch dicke Gummizüge an den Beinen um
abzudichten. Ergänzend dazu trug Frau die Kombinäsch, eine Art
längeres Unterhemd in Chameuse, oft in den kräftigen Farben der
60-70-Jahre.
In diesem Wäschegeschäft hat Magda schon oft Beute nach ihren
Lieblingsslips gemacht, sowohl in weiß als auch in schwarz.
"Was suchst du denn da?"
"Die halbhohen Sloggys mit dem kleinen, dreieckigen
Spitzen-Einsatz am Beinrand."
"Da, nimm doch die! 5 Stück zum Preis von 3. Die kannst du auch
auskochen!"
"Nein. Die mag ich nicht, die haben keine Spitze drin. Ich trage
nur Slips mit Spitzeneinsatz."
"Wozu brauchst ausgerechnet DU denn Spitze in den Unterhosen?"
Ansatzlos, ohne Vorzeichen, schleudert Mizzi der Schwiegertochter die
Beleidigung mit der vollen dazu gehörigen Häme im Gesicht
festgeschrieben, entgegen.
Die Verkäuferin, die sich den beiden Frauen bereits genähert hatte,
holt hörbar Luft. Magda ringt um Fassung. Sie versucht eine eherne
Maske aufzusetzen, was ihr auch bald gelingt, hält aber den Kopf
noch sicherheitshalber gesenkt über der Wäschewühlbox. "Ich
habe das jetzt nicht gehört! Ich ignoriere das jetzt einfach!",
denkt sie. Dass das nicht so ist, spürt sie in jeder Faser ihres
Körpers.
"Einzeln, zum normalen Preis haben wie die schon, gnädige Frau.
Schauen Sie doch einfach nächsten Monat wieder vorbei. Ich glaube,
da haben wir die, die sie immer bei uns kaufen, im Angebot.",
strahlt der rettende Engel in Gestalter der Verkäuferin Magda an.
"Darf ich ihnen vielleicht andere Slips mit Spitze zeigen, ganz
ähnlich von einer anderen Firma?"
"Danke. Nein. Ich komme sowieso wieder vorbei. Dann habe ich
auch sicher wieder mehr Lust zum Herumstöbern."
Selbst jetzt noch, Jahre später, treibt es Magda Tränen
ohnmächtigen Wut in die Augen. Heute weiß sie, was sie dem
Schwiegermonster damals hätte sagen müssen. Aber selbst wenn sie es
damals parat gehabt hätte, hätte sie es nicht getan. Es ist die
Mutter ihres Mannes. In seiner Familie darf Mama alles. Niemand hat
je daran gedacht, oder besser es gewagt, sie in ihre Schranken zu
verweisen. Und Magda hatte sich eingefügt. Später hat sie gelernt
sich abzugrenzen, ihre Intimsphäre zu schützen, damit es gar nicht
mehr so weit kommen kann. Aber das Verhältnis zwischen den beiden
Frauen hat sich damit nicht gebessert. Es ist lediglich ein
erzwungener Waffenstillstand aufgrund voller Deckung. Sobald die
Mauer der Deckung irgendwie brüchig wird, greift das
Schwiegermonster sofort wieder an.
"Magda, es reicht jetzt damit!", sagt sie sich selbst
halblaut und sehr resolut um die negative Gedankenspirale zu stoppen.
Niemand im Zug reagiert darauf. Es sitzen sowieso nur wenige
Passagiere im oberen Stock des Waggons.
Ihre Gedanken wandern wieder zu dem von ihrer Mutter so angepriesenen
Haarteil. Aber jetzt kommen heitere Erinnerungen hoch. Damals, in den
50-er und 60-er Jahren gab es das im Volksmund "Fiffi"
genannte Haarteil. Bei den Männern bekam es eher den Kosenamen
"Peppi". Die Teilperücken wurden in der Naturhaarfarbe
gemacht um die beginnende oder schon fortgeschrittene Blöße des
Kopfes zu bedecken. Aber die Frauen in rasch fortschreitender Jugend,
hatten selten noch ihre Naturhaarfarbe. Sie waren längst weiß oder
eine Mischung aus weiß und etwas das einmal die eigene Farbe war.
Haarfarben waren damals sehr teuer bzw. sogar durchaus auch
gesundheitsschädlich. Also wurde der Eigenhaarfarbe mit
Naturfarb-Spülungen auf die Sprünge geholfen. Es gab die
Rosenholzspülung, die weiße Haare eher rosa erscheinen ließ, dann
die Silberspülung die einen lila Effekt hatte und die Blauspülung
mit entsprechend farbigem Ergebnis. "Wenn ich so recht
überlege", murmelt sie leise in sich hinein, "waren diese
Frauen die frühen Punks! Unten rum pink, lila oder blau und oben
drauf dann der Fiffi in brünett, blond, braun oder schwarz! Und
genau diese Frauen schüttelten entsetzt ihre farbgequälten Häupter
über die Haarpracht der Punks der späten 70-er beginnenden 80-er!
Von wem hatten die Kids denn das? Von ihren Großmüttern!"
Magda kann ihr inneres Kichern ob der Erkenntnis des Tages nicht mehr
für sich behalten. Es muss nach draußen! "Yes, that's it!"
Ein älterer Herr grinst verwirrt zurück. Mit einem Nicken und
direktem Lächeln bestätigt sie den Ahnungslosen.
"Und? Wie war es heute? Hast Schwefelstarre?" Magdas Mann
kommt abends nach Hause und fragt mal vorsichtig an. Aus seiner
langen, liebevoll Beziehung zu seiner Frau kennt er schon das
Problem, das sie hat, wenn sie von ihrer Mutter kommt. Die
Schwefelstarre ist eine Bezeichnung der beiden, wenn der Schwefelatem
der beiden Drachenfrauen einen re-aktionsunfähiger Zustand der
Depression hervorruft. Oft genug hat er erfolglos versucht sie da
herauszuziehen. Aber jetzt hat er verstanden, dass seine Frau durch
ihre Arbeit an sich selbst, z.B. mit Psychotherapie, da am ehesten
alleine oder mit Hilfe der Therapeutin rauskommt. Und das tut sie mit
immer mehr Erfolg. "Na ja. Es geht so. Morgen geh ich zur
Kosmetikerin und dann geht es mir sicher wieder besser.",
lächelt sie ihn halbherzig an. Er zieht sich zurück, wie es für
beide am Besten ist. So erholt sie sich rascher und er erspart sich
den Frust der erfolglosen Hilfe. Eine bewährte Praxis der beiden,
die sie sich gemeinsam erarbeitet haben.
Eigentlich will Magda am nächsten Tag zum Kieser-Training gehen,
Muskeltraining pur. Aber um selbst was zu tun ist sie noch zu
kraftlos. Und sie geht auch nicht zur Kosmetikerin, spielt
stattdessen sinnlose Kartenspiele, möglichst anspruchslose und lässt
ihre Gedanken laufen. Es ist ein trüber Tag an dem sie immer wieder
die beiden alten Drachen in ihren Gedanken terrorisieren. Tags darauf
klappt es besser. "Monika, hast du einen langen Termin für mich
frei? Harzen von den Zehen bis zu den Achseln? Komplett!", fragt
sie ihre Kosmetikerin. "Du, das passt gut, mir hat gerade eine
Kundin abgesagt. Komm nur!" Das Harzen tut tierisch weh. Aber
der Effekt auf den sie gewartet hat, kommt: "Ich spüre, dass
ich lebe und das in jeder Faser meiner Haut!" Magda geht es
besser.
So nebenher erzählt ihr die Kosmetikerin, dass sie überlegt, sich
die Brüste neu machen zu lassen. Wäre doch eine umfangreiche
Operation, aber sie hat einfach keine Lust mehr, sich die Reaktion
ihres Mannes anzutun, wenn sie sich genüsslich im Bett auf den
Rücken legt, darauf wartet, dass er in sie eindringt, und er macht
noch schnell die Augen zu bevor er das Licht abdreht, damit er nicht
sieht, wie ihre Brüste einfach seitlich weghängen. Er fasst die
beiden noch nicht mal mehr an, so angewidert ist er, ihrer Meinung
nach.
Die intime Erzählung der längst zur Freundin gewordenen
Kosmetikerin, ist unangenehm. Sie überfordert Magda. Sie fühlt sich
genötigt Stellung zu nehmen. Möchte das aber nicht. Abgesehen davon
tritt diese Geschichte eine Gedankenlawine in ihrem immer noch
verschwefelten Kopf los. All die Männer, die Magda nur auf Grund
ihrer großen Oberweite angemacht hatten. Die nicht mit ihr als Frau
Sex haben wollten, sondern ihren Schwanz zwischen die
"Riesen-Tutteln" stecken wollten, die Frau auf ihre Brüste
reduziert erleben, sonst nichts. Leichte Übelkeit macht sich in
Magda breit. Und das Bewusstsein, dass sie, genau genommen, das genau
gleiche optische Problem hat wie die Freundin.
Ziemlich wortkarg verlässt Magda das Kosmetikstudio.
Das Mindsetting mit der Brustoperation ist platziert. Zu Hause
betrachtet sie sich vor dem Spiegel. "Na, im Stehen geht das
doch noch recht gut! Also, lass es gut sein, meine Liebe!" Mit
diesem halbresoluten Versuch möchte sie die aufkeimende Lust an der
chirurgischen Verstümmelung beenden.
"Aber auf allen Vieren, in der Doggy-Stellung? Mein Güte! Die
hängen ja wie Schläuche runter! Schrecklich!" Irgendwo hat sie
noch einen großen losen Spiegel. Magda legt sich auf den Rücken,
hält den Spiegel hoch. Der Anblick treibt ihr Tränen in die Augen.
"Du, was hältst du eigentlich von meinem Busen?", die
Frage aller Fragen am Abend an ihren Mann. "Wieso, ist irgendwas
damit? Hast Schmerzen oder was?" – "Nein, nur, jetzt
hängen sie schon sehr arg." – "Blödsinn. Wirst jetzt
auf einmal noch zur Tusse?" Irgendwie ist das Gespräch nicht
sehr ergiebig. Der Fernseher rettet die beiden. Die Zeit im Bild
beginnt. Keiner der beiden nimmt das Thema weiter auf.
"Du, hast du schon jemanden, wo du dir den Busen machen
möchtest? Weißt, weil ich denke daran mir meine Augenlieder etwas
heben zu lassen. Macht einfach ein frischeres Gesicht und ich habe
keine Ahnung wer so kosmetische Sachen macht." – "Aber
klar! Die Doktor Maier hat schon viele meiner Kundinnen operiert. Die
sind alle sehr zufrieden. Komm einen Sprung bei mir vorbei und ich
such dir die Visitenkarte raus. Jetzt kann ich nicht. Hab gerade eine
Kundin zur Fußpflege da."
Mit der Visitenkarte in der Hand geht Magda ins nächste Cafe.
"Ordination Dr. Maier. Manuela am Apparat. Was kann ich für Sie
tun?", hört sie die professionelle Begrüßung. Eigentlich will
sie sofort wieder auflegen. "Die Fr. Doktor wurde mir wegen
einer anstehenden Brust-Operation empfohlen und da wollte ich mich
einfach mal erkundigen, wie das so geht." -" Ja gerne,
Frau, wie war doch noch gleich ihr Name?" - Mein Name ist
Saidler, mit ai!" -" Danke, Fr. Saidler. Bei uns läuft das
so, dass wir einen ersten Informationstermin vereinbaren. Da können
sie dann alles mit Fr. Doktor Maier besprechen. Für diesen Termin
verrechnen wir € 200,- Wenn es zu einer Operation kommt, dann wird
dieser Betrag natürlich rückvergütet. Wir haben leider die
Erfahrung gemacht, dass viele Damen dann doch nicht zum vereinbarten
Vorbereitungs-Termin kommen und natürlich auch nicht zur Operation.
Daher unsere Vorsichtmaßnahme, weil sich die Fr. Doktor natürlich
sehr viel Zeit für jede Patientin nimmt. Wenn Sie damit
einverstanden sind, dann könnten wir den ersten Termin jetzt gerne
vereinbaren! Ich hätte da für Sie nächste Woche am Mittwoch um
15.00 Uhr frei. Wäre das für Sie in Ordnung?" Magda schluckt
erst mal. Soviel zum Thema: Fragen kostet nichts! "Ja, 15 Uhr
wäre passend für mich. Das können wir fix machen.", hört sie
sich zu ihrem eigenen Erstaunen sagen. Ihr Herz schlägt ihr bis zum
Hals rauf. "Dann freuen wir uns, sie nächste Woche um 15 Uhr
kennen zu lernen." Schnell gibt Magda noch ihre persönlichen
Daten bekannt und legt verwirrt auf.
Wieder zu Hause hängt sie sich erst mal ins Internet. Google wird
befragt, was es da zum Thema Brustverkleinerung, Bruststraffung &
Co zu lesen und sehen gibt. Jetzt bereut sie es, die diversen
Sendungen im Fernsehen verweigert zu haben. Da hätte sie schon alle
Infos. Sie liest vom T-Schnitt der von den Brustwarzen senkrecht nach
unten führt und dann waagerecht an der Umschlagsfalte weiter geführt
wird, mit Fettabsaugung, Hautstraffung, die Brustwarzen werden nach
oben gesetzt. Aber da die Warzen dann häufig nicht gut anwachsen,
werden sie auch schon mal komplett entfernt und aus der Haut eine
Warze geformt und dann der Hof mit einem Tatoo optisch simuliert. Es
kann durch das Durchtrennen der feinen Nerven zu einem
vorübergehenden Taubheitsgefühl kommen, liest sie da.
Also Moment mal: Meine Brustwarzen kommen weg, ich kann sie nicht
mehr spüren, den zarten Reiz, bis zum intensiven Gefühl, das mir
die Lust in jede Pore meines Körpers treibt? Und dann soll ich
womöglich auch noch einige Monate überhaupt das Gefühl in meinem
Brüsten verlieren? Ist das nicht schon irgendwie sehr zombieartig?
Also, ich weiß nicht? Allerdings, das Spiegelbild im Liegen! Die
Brüste, die dann nicht mehr in die Achselhöhlen fallen sondern
meinem wilden Hengst entgegenstrahlen. Wenn alles gut geht und die
Narben schön verheilt sind, wieder "oben ohne" ins Freibad
gehen! Na gut, vielleicht doch nicht oben ohne, aber mit einem
hübschen, knappen Bikinioberteil. Die Komplimente hören: "Ach
nein! Gnädige Frau, Sie scherzen! Sie können unmöglich schon 52
sein!" Verlockend! Und, wenn ich es mir doch noch überlege,
dann zahle ich 200,- Habe schon für größere Dummheiten mehr Geld
ausgegeben. Wobei, € 7.000,- für die OP, auch nicht ohne. Na,
schau ma mal!
Magda quält sich durch eine schlaflose Nacht. Am nächsten Tag, alle
Bedenken kochen sich im Gehirn auf zu mittleren Katastrophen.
Gleichzeitig das Bild: knapper Bikini am Strand vom Sharm el Sheik.
Allerdings, dort laufen doch auch die Russinnen mit ihren operierten
Einheitsbrüsten rum. Da in der Liga mitspielen? "Ich sollte
doch mal mit meinem Süßen darüber reden." Doch die Vernunft
schafft es nicht bis zum Abend zu überleben.
Wieder eine schlaflose Nacht. "So geht das nicht!", ermahnt
sich Magda selbst, packt ihr Sporttasche und ab geht’s in die
Muskelbude. Noch mal so richtig die Brustmuskeln fordern, ist
angesagt. Aber wozu eigentlich? Wird bei der Operation nicht auch der
Brustmuskel verkürzt? Hat sie nicht so was auch gelesen? Schluss
damit!
Also, erst mal ab zur Beinpresse. Und dann geht’s weiter. Magda
macht ihre 10 Übungen mit sehr viel Sorgfalt und quetscht mit viel
Kraft und Anstrengung auch noch die letzte Wiederholung aus ihrem
Körper raus. Ab unter die Dusche. Oder doch nicht? Mit den
Hängebrüsten und den nassen noch vorhandenen Haaren am Oberkopf aus
der Dusche kommen und alle anderen Frauen werden sie ansehen! Nein.
Geduscht wird zu Hause. Langsam beginnt sie sich anzuziehen.
Und plötzlich steht sie da. Die Göttin. Sie kommt aus der Dusche.
Hätte Botticelli seine Venus im Alter von 70 gemalt, er hätte diese
Frau als Modell genommen! Es ist der Körper einer Frau, die nicht
nur gelebt hat. Nein, sie lebt immer noch mit jeder Faser. Und sie
wird es weiter tun, mit Genuss und Lust. Dieser Körper wird von
einer Haut umspielt die mit ihren vielen zarten Falten jede Bewegung
mit einem wunderbaren, nicht hörbaren Rascheln erhöht, wie der laue
Herbstwind goldenes Laub in die Luft wirbelt um die Augen des
Betrachters an diesem Spiel zu erfreuen. Bei jeder Bewegung verändert
sich das wunderbare Schauspiel ihrer Haut. Es ist immer anders, und
immer schön. Mit geübten Bewegungen trocknet sie ihr langes weißes
Haar, das sich auch schon einmal dichter war. Mit der Körperlotion
bändigt sie den Herbstwind ihres Körpers. Mit jeder streichenden
Bewegung wird es stiller. Der Wind lässt seine Blätter sanft zu
Boden gleiten. Die Herbstsonne lässt den Körper in seinem vollen
Glanz, seiner ganzen Würde erstrahlen. Auf den breiten Hüften
balanciert die nicht mehr ganz so schlanke Taille den prachtvollen
Oberkörper mit seinen schweren Brüsten.
Die Schenkel tragen diesen Körper mit Kraft. Und die schmalen
Knöchel betonen die wundervoll gepflegten Füße deren Zehennägel
kokett mit vielen verschiedenen Farben lackiert sind. Venus spürt
und sieht Magdas Bewunderung. Die beiden Frauen lächeln sich zu.
"Frau Manuela? Ja, ich bin es, Saidler mit ai. Ich möchte
meinen Termin für nächste Woche Mittwoch absagen. Ich habe es mir
doch anders überlegt. Meine Brüste bleiben wie sie sind. Und
natürlich können Sie mir eine Rechnung über die 200, schicken. Das
zahle ich gerne!" Sofort legt Magda auf.
"So, und jetzt ab in den Dessous-Laden in der Praterstraße! Da
hab ich doch diesen tollen schwarzen BH mit Reifen komplett aus
Spitze gesehen. Da gibt es sicher auch einen hübschen Slip aus
Spitze dazu der etwas weiter rauf geht um die beginnende Problemzone
um den Bauch etwas kaschieren. Vielleicht doch mit String? Der
Hintern sieht ja dank des konsequenten Trainings wieder recht knackig
aus!", freut sich Magda. "Und damit werde ich meinen Hengst
heute so richtig heiß machen. Oder doch eher mich selbst? Wie auch
immer: So mache ich das jetzt und nicht anders!"